Ist das noch Theater oder schon Zirkus

Posted by Bobbie Howard
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Aug 24, 2015
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Ist das noch Theater oder schon Zirkus? Postbote Kalle, gelbes Schlabber-T-Shirt, Vokuhila, betritt die Bühne. Gespielt wird er von Oliver Tautorat, Theaterleiter und Mitbegründer des Prime-Time-Theaters, in dem seit zwölf Jahren die Theater-Sitcom "Gutes Wedding, schlechtes Wedding" läuft. Mehrmals zogen sie um, heute spielen sie mit 230 Plätzen in der Burgsdorfstraße in Wedding. Die hundertste Folge des Formats wird mit der besonderen Musical-Edition "Wedding-Story" gefeiert.

Tautorat heizt zu Beginn seinem Publikum ein, er lässt sie auf Kommando grölen, verteilt Süßigkeiten an die Gäste und ruft: "Ist hier jemand aus Zehlendorf angereist? Danke dafür!" Man merkt: Hier läuft es ein bisschen anders als bei Brecht und Shakespeare.

Das Publikum ist bunt gemischt, junge Paare, fünfzigährige Männercliquen, Kinder, Rentner. Es wird Eiscreme gelöffelt, an Bierkrügen genippt. Aber für Tautorat ist es genau das, was Theater sein sollte. Bodenständig, unangestrengt. "Für mich ist das immer schön, zu sehen, dass wir ein Publikum erreichen, das sonst nicht unbedingt ins Theater geht." Auf keinen Fall elitär solle seine Kunst sein, aber trotzdem nicht platt.

"Aber so ist das ja auch im Leben"

"Mitte ist schitte, Prenzlberg is Petting, Real Sex ist only Wedding", sagt der Titelsong. Und die Crew, in der jeder mindestens zwei, aber meistens drei verschiedene Rollen spielt, verkörpert mit genau dieser Liebe die Weddinger Figuren. Den Dönerbudenbesitzer Ahmed Ölgür, den Postboten Kalle, Frau Schinkel, die sächsische, sozialismustreue Arbeitsamt-Bürokratin, die fleischsüchtige Ex von Ahmed, die Punkerin Ratte, die Kiezschlampe Sabrina, die türkischen Gangster-Zwillinge Orkan und Taifun usw. Manche der Charaktere gibt es schon seit Folge eins.

Gehen einem da nicht irgendwann die Ideen aus, fängt man nicht an, sich zu wiederholen? Nein, sagt Tautorat. Genauso wie Berlin entwickle sich das Leben weiter, und so gebe es genug Input für Autorin Constanze Behrends. Natürlich passieren manchmal ähnliche Sachen, Kalle komme zum Beispiel immer wieder mit dominanten Frauen zusammen. "Aber so ist das ja auch im Leben."


Party und Unterprivilegiertenstolz: „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ läuft in Berlin seit zwölf Jahren

PHOTO white bridesmaid dresses

In der Jubiläumsfolge brennt die Dönerbude "Chez Ölgür" ab, weil die fleischbesessene Ulla die Dichtungen mit Bärchenwurst isolieren wollte. Nun droht der Aufkauf von zwei Latte macchiato trinkenden Hipster-Schwaben aus Prenzlberg, die einen Männerstillsalon aufmachen möchten. Frau Schinkel ruft zum Widerstand auf. Denn der Wedding darf niemals in Schwabenhand fallen!

Das alles klingt natürlich reichlich albern, ist aber mit so viel Hingabe inszeniert und gespielt, dass man sie lieben muss, die Weddinger Freaks. Und trotz der lockeren Atmosphäre sind die Schauspieler professionell, wechseln innerhalb einer Minute vom schwäbischen Bio-Hipster zum aggressiven Deutsch-Türken, verkörpern ihre Rollen perfekt.

"Sie müssen gute Komödianten sein, gute Solisten, Ensemblespieler, Dialekte können, improvisationsfähig sein", erklärt Tautorat. "Aber gleichzeitig eine Menschlichkeit haben, fernab von diesem Schauspieler-Getue." Drei Runden Casting muss man bestehen, um in das Ensemble aufgenommen zu werden.

"Sind die Schwaben denn wirklich so schlimm?"

Sechzig Prozent Stammpublikum sind die Bestätigung des Konzepts. Sie kommen zum Teil seit zehn Jahren zu jeder neuen Folge in die Müllerstraße. Genau diese Leute sind es, die Oliver Tautorat immer weitermachen lassen. Seine Lieblingsbesucherin ist eine ältere Dame, die immer mit Mann und Enkelkind kam. Der Mann verstarb. Seither kommt sie weiter regelmäßig zu den Shows. "Ich komme weiter, weil ich dann meinen Mann lachen höre", erklärte sie Tautorat. Seit 2014 gehört das Prime-Time-Theater zum festen Kulturetat der Stadt Berlin. Eine Leistung, auf die er sichtbar stolz ist.

Dann will ich es aber doch wissen: "Sind die Schwaben denn wirklich so schlimm?" "Neee", lacht Tautorat. Aber dieses Biedere, Esoterisch-Öko-Weichgespülte, das passe halt nicht nach Wedding. Und dann sagt er seinen besten Satz: "Für mich muss eine Stadt Fragen aufwerfen, ohne auf alle eine Antwort zu geben." Man muss sich wundern können, Sachen sehen und hören, die man nicht versteht. Und sie dann einfach hinnehmen.

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